Italienisches
Fußballmärchen

Eine wahre Geschichte: Wie ein Amerikaner zum tifoso wird


Joe McGinnis:
Das Wunder von 
Castel di Sangro

Verlag Kiepenheuer & Witsch
489 Seiten
ISBN: 3-462-02888-X 
45 Mark

Von Thorsten Waterkamp

Wenn ein fußballverrückter US-Amerikaner (was schon ein Widerspruch in sich ist) für fast ein Jahr in die sprichwörtliche italienische Provinz geht, ist es nicht der selbst gewählte Gang in die Einsamkeit, sondern il miracolo. Das Wunder von Castel di Sangro, der erstaunliche Aufstieg eines Fußballklubs aus den Abruzzen von den Niederungen des calcio in die zweithöchste italienische Spielklasse, der Seria B, lockt 1996 den amerikanischen Autor Joe McGinnis in das 5000-Einwohner-Kaff.

Die komplette Saison über begleitet McGinnis das Team um den eigensinnigen Trainer Osvaldo Jacone, der sich selbst Bulldozer nennt und seiner Arbeit mit entsprechender Sensibilität nachgeht. Der Mann aus Massachusetts wiederum wird quasi zum Maskottchen des Klubs und zu dessen größtem Fan. Ohne anfangs auch nur ein Wort Italienisch zu sprechen, ist McGinnis binnen kürzester Zeit ein tifoso, wie er im Buche steht.

Enthusiastisch und wunderbar subjektiv beschreibt er Frust und Freuden, die er mit den ragazzi von Castel di Sangro erlebt. Staunt über la società, die hinter dem Verein steht und unverhohlen ihre mafiosen Strukturen unter dem padrone zur Schau stellt. Kämpft auf der Tribüne mit dem Herzen für la salvezza, den Klassenerhalt, der ein zweites Wunder bedeuten würde.

So wie McGinnis diese eine Saison lang um Castel di Sangro gezittert hat, so hat er seine Erlebnisse niedergeschrieben. Herzergreifend, parteiisch, leidend, hoffend, jubelnd mit seinen Freunden in dem Abruzzendorf. Aber auch wutentbrannt. Denn als er von la sistema hört, versteht der scrittore americano seine heile Fußballwelt nicht mehr. Verkaufte Spiele! Lira für Betrug am Leder!

La sistema – soll auch außerhalb Italiens vorkommen. So mancher Blick in die hiesigen lokalen Fußballtabellen zum Saisonende lässt ja schon mal den einen oder anderen Schluss zu. Ob wohl einige Leser die Entrüstung McGinnis‘ ebensowenig verstehen wie die meisten italienischen Kicker aus Castel di Sangro...?

zurück